Leseprobe: Writing her own story

Kapitel 1
Einen Moment hielt er inne und starrte auf ihre unglaublich sinnlichen Lippen. Er war nur ein paar Zentimeter davon entfernt, sie zu küssen, sie zu liebkosen, ihre Zunge mit seiner zu streicheln. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal etwas so sehr gewollt hatte. Ihre Arme schlangen sich fester um seinen Hals, sie drückte sich enger an ihn, wartete auf den Augenblick an dem sich ihre Lippen berührten. Er spürte, wie ihre Aufregung und Erwartung stieg, spürte, dass sie bereit war für diesen neuen Schritt in ihrer bisher so unglaublichen Geschichte. Ein sanftes Zittern glitt durch ihren Körper, als sie die Augen schloss und hoffte, dass dies ihr letzter erster Kuss sein würde.

„Ugh!“ Wutentbrannt schleuderte ich ein altes Taschenbuch an die Wand. Normalerweise benutzte ich es, wenn ich furchtbare Bücher las und so frustriert war, dass ich die physische und audiovisuelle Erlösung brauchte, die so ein Buchwurf mit sich brachte. Wer hätte gedacht, dass es auch in Momenten praktisch war, in denen ich solchen Scheiß geschrieben hatte, dass ich wirklich einen Augenblick dachte, ich müsste mich übergeben. Ich löschte die letzten Zeilen und versuchte es noch einmal. Die Worte wollten heute einfach nicht so richtig fließen. Gerade jetzt. Meine Deadline war nur noch zehn Tage entfernt und ich musste noch das letzte Kapitel schreiben und den Text Korrektur lesen. Am besten gleich mehrmals, um auch noch die letzten unsicheren Formulierungen zu glätten, die ich mir in den vier vergangenen Monaten ausgedacht hatte.
Ich griff nach meinem Weinglas, trank ein Schlückchen, genoss die herrlich knackige Frische des Weißweins, und versuchte mich in die richtige Stimmung zu versetzen, um das letzte Kapitel der großen Liebe von Samantha und Tom zu beenden. Mein Blick fiel auf die kleine Uhr am Rand meines Bildschirms. 19.38 Uhr. Fuck! Ich sprang auf und rannte zum Kleiderschrank. Ich war spät dran. Ich zerrte ein schwarzes Kleid vom Bügel, zog es über meinen Kopf und musste betrübt feststellen, dass meine Schokoladen-und-Wein-Diät der letzten vier Wochen nicht spurlos an mir vorüber gegangen war. Der Stoff spannte über meinem Bauch, meinen Hüften, meinem Hintern. Ich sah aus, wie in eine Wurstpelle gepresst.
Vielleicht doch lieber das weiter geschnittene Kleid in A-Linie? Ich musste über mich selber lachen. A-Linie, von wegen. Obwohl ich keine Ahnung hatte, ob etwas A-Linie, B-Linie oder C-Linie war, streifte ich schnell das andere Kleid über, beschaute mich im Spiegel, sah keine Speckrollen hervorstehen und hastete ins Badezimmer. Mascara und Lipgloss mussten reichen, dreimal durch die Haare gekämmt, fertig. Selbst schuld, wenn Kate und Melanie ausgerechnet dann zu Besuch kommen mussten, wenn ich mein neustes Buch zu Ende schreiben musste. Sie sollten froh sein, dass sie mich Eremiten überhaupt zu Gesicht bekamen, schließlich konnte ich meine Streifzüge nach draußen in den letzten vier Wochen an einer Hand abzählen.

Wenn meine Vergangenheit mit den Mädels mich eines gelehrt hatte, dann, dass es auf jeden Fall sicherer war, wenn ich heute zu Fuß unterwegs war. Ich lief die paar Straßen bis zu dem kleinen italienischen Restaurant, in dem wir verabredet waren. Auf dem Weg klingelte mein Handy. Ich blieb einen Moment stehen, tastete in meiner Handtasche nach dem Gerät und sah, dass es Suzie war. „Hey, Suz! Was gibt’s?“ fragte ich.
Am anderen Ende der Leitung tat sich nichts. Man konnte nur das leise Schluchzen hören. „Was ist passiert?“ fragte ich entsetzt. Suzie weinte nie.
„Declan ist fremdgegangen“, man konnte hören, wie schwer es ihr fiel, diese Worte auszusprechen. Meine tapfere, kluge, starke, optimistische Freundin hörte sich an, als müsste sie schließlich doch vor der hässlichen Realität kapitulieren.
„Ach, Scheiße, Suz! Das tut mir so leid! Ihr hattet doch gerade erst den Überraschungstrip nach Hawaii. Was ist passiert?“ Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare.
„Es waren perfekte vier Tage. Wir kamen Sonntag zurück und am Montag hat er dann gestanden, dass er mit einer anderen geschlafen hat. Emma, das ist das zweite Mal. Was soll ich machen?“
Ich öffnete die Tür zum Restaurant und blickte mich um. „Was hat er denn gesagt?“ Ich sah Kate und Mel sofort. Ihre Augen fielen auf mich und ich sah in zwei strahlende Gesichter. Ich steuerte auf sie zu.
„Er meinte, er habe es nicht beabsichtigt. Es ist einfach passiert. Er hatte sich mit ihr verabredet, wollte aber nur reden. Und dann, dann ist es passiert“, weinte sie in den Hörer.
„Er wollte nur reden?“ fragte ich ein bisschen zu laut. Ich merkte, wie sich die ersten Gäste zu mir umdrehten. „Und er musste seinen Penis in ihre Vagina stecken, um besser zu hören?“ Nun hatte ich die volle Aufmerksamkeit im Raum und ich konnte die Blicke sehen, die sich Kate und Mel zu warfen.
Suzie lachte leicht auf. „Schau, Süße“, fuhr ich fort ohne mir Sorgen um die Umgebung zu machen, „ich kann dir nicht sagen, was du machen sollst. Wenn ich dir sage, du sollst ihn verlassen, und du bleibst doch bei ihm, werde ich für immer die Schlampe sein, die euch auseinander bringen wollte. Wenn ich dir sage, vergib ihm, und du kannst es nicht, bin ich in der gleichen beschissenen Lage.“ Ich hörte missbilligendes Gemurmel um mich. Aber das war ich gewöhnt, ver- und beurteilt zu werden und ich gab nichts drum. Ich war am Tisch angekommen, blieb stehen, lächelte meinen Freundinnen kurz zu, und wartete auf Suzies Reaktion.
„Du hast ja Recht. Ich bin nur so… unentschlossen.“ Ich biss mir auf die Unterlippe, nicht sicher, was ich sagen sollte. „Suzie, es tut mir total leid und ich bin wahrscheinlich die schlechteste Freundin der Welt, aber ich bin verabredet und stehe hier jetzt am Tisch und irgendwie ist die Situation grad ein bisschen unangenehm. Wenn du mich ganz dringend brauchst, drehe ich um und gehe nach Hause, und wir können den ganzen Abend telefonieren. Falls du es aber doch bis morgen aushalten kannst, lege ich jetzt auf?“ Mal wieder wusste ich nicht, ob ich die feine Linie zwischen Ehrlichkeit und Unhöflichkeit überschritten hatte.
„Nein, kein Thema“, Suzies Stimme klang aufrichtig. „Lass dich nicht aufhalten. Wir telefonieren morgen.“ Nach einem kurzen Abschied, steckte ich mein Handy wieder in die Tasche.

„Oh, mein Gott, Emma! Du siehst aus als hättest du in den letzten zwei Wochen 10 Kilo Schokolade gegessen!“ rief Kate. Echt jetzt?
„Mach 20 draus“, erwiderte ich und umarmte sie fest. Es war so gut, meine beste Freundin wieder zu sehen. „Hör nicht auf sie. Du siehst wie immer fabelhaft aus“, sagte Mel und drückte mich an sich. Sie war schon immer die Nettere von uns.
„Naja, wenn eine Schoko-Wein-Diät tatsächlich zum Abnehmen geeignet wäre, stände sie schon längst in der Vogue und ich wäre die neue Abnehm-Päpstin, hätte einen heißen Body, und würde durch die Welt tingeln. Stattdessen bin ich hier. In Athens, am Arsch der Welt“, scherzte ich. Ich hörte unterdrücktes Lachen und schaute in die Richtung. Mir stockte der Atem. Ich blickte in die Augen von drei unverschämt gut aussehenden Männern. Alle unterschiedlich und alle herrlich sexy. Definitiv eye candy.
„Wirklich? Ihr seid fünf Minuten hier und habt schon den lokalen Hot Boys Club am Tisch sitzen?“ fragte ich mit einem Hauch Bewunderung in der Stimme. Während das unterdrückte Gelächter anstieg, befreite mich Kate aus meiner Lage.
„Emma, das sind mein Ehemann Ryan, Mels Verlobter Timothy und Ryans Kollege Drew.“ Als ich nacheinander Hände schüttelte, konnte ich nur denken, lucky bitches. Haben die sich doch die heißesten Typen geschnappt, die jemals über die Landesgrenzen des wunderschönen Staates Alabama gekommen waren.
Als wir uns gesetzt hatten, warf mir Kate einen Blick zu, der nur eines bedeuten konnte: Beginn der Inquisition. „Wieso bist du so dick?“ Mel stupste sie in die Seite und zischte „Kate!“ Aber Kate hatte für gängige Moral und Anstandsregeln schon immer nur Verachtung übrig gehabt. Ein Grund, warum wir uns so gut verstanden.
„Chocolate.com“, antwortete ich. „Eine echt teuflische Seite. Ich muss nicht mal mehr rausgehen, um mir mein Crack zu besorgen.“
„Wieso gehst du nicht raus?“ fragte Mel. In dem Moment kam der Kellner an den Tisch. „Hi, Em! Sieht man dich auch mal wieder? Meine Mutter ist besorgt, dass du vom Fleisch fällst“, er schaute langsam an meinem Körper entlang. „Diese Sorge kann ich ihr wohl nehmen.“ Er grinste mich unverschämt an.
Ich stupste ihm mit dem Ellenbogen in die Seite. „Ach, Travis, du warst schon immer der charmanteste Kerl im ganzen County“, flötete ich und klapperte mit den Wimpern.
„Wann ist die Deadline?“ fragte er.
Ich runzelte die Stirn. „In zehn Tagen.“
„Und dann bist du hier statt dich weiter einzuigeln?“
Ich warf Kate einen Blick zu. „Das ist nur ihre Schuld. Sie hat mich praktisch an den Haaren her gezerrt.“
„Und? Wie groß ist das pulsierende Glied dieses Mal?“ Seine Augen glänzten vor Übermut.
In gespielter Verzweiflung blickte ich ihn an: „Ich weiß nicht, warum ich ein Pseudonym verwende, wenn doch jeder weiß, dass ich diese schmutzigen Groschenromane schreibe.“
Er lachte leise. „Was willst du trinken?“
„Alkohol.“
„Schon verstanden.“

In ihrer unverblümten Art fragte Kate: „Vögelst du ihn?“
„Nee…“ Ich hoffte, dass sich meine Stimme nur für mich bedauernd anhörte. Und ich wusste eigentlich gar nicht, weswegen. Travis und ich waren Freunde, gute Freunde. Er war einer meiner besten Freunde, um das Kind mal beim Namen zu nennen. Freunde, ganz ohne Vorzüge. Trotzdem schlich sich leises Bedauern in mein Herz. Vielleicht nur, weil ich schon ewig keinen Sex mehr hatte.
„Was ist dann mit deinem Liebesleben?“
Während die Mitglieder der heißesten Boyband seit Menschen Gedenken unserem Geplänkel amüsiert zu hörten, atmete Mel scharf ein: „Ich denke nicht, dass das hier der richtige Ort und die richtige Zeit ist, Kate!“
Kate und mich hatten die zarten Gefühle von Mel noch nie gestört, also antwortete ich wahrheitsgemäß: „Was meinst du mit Liebesleben?“
Kate blickte mich an: „Wer besorgt es dir, Emma?“
„Mein B.O.B.“ Kate grinste, Ryan versuchte sein Lächeln zu verbergen und Drew lachte unverschämt – und so sexy! – über das ganze Gesicht.
Mels Gesicht rötete sich. Ihr war dieses Gespräch unangenehm und trotzdem: „Was?“
Timothy legte ihr die Hand auf den Arm und sagte: „Battery operated Boyfriend.
Sie blickte mich entsetzt an: „Emma!“
Das lief ja wie am Schnürchen. Fünf Minuten hier und schon hatte ich Mel aufgeregt. Der Abend konnte nur besser werden.
Ryan, bemüht das Gespräch in ruhigeres Fahrwasser zu bringen, fragte: „Was ist das für eine Deadline?“
„Für mein neues Buch. Ich hab noch zehn Tage für das letzte Kapitel und die Korrekturen. Leider fange ich immer zu spät an, irgendwie brauche ich den Thrill, nicht zu wissen, ob ich es rechtzeitig schaffe. Ein aufregendes Leben“, ich zwinkerte ihm zu.
„Ich glaube, ich habe noch nie was von dir gelesen. Emma Maddox sagt mir leider gar nichts. Aber du sagtest ja auch, dass du ein Pseudonym verwendest?“ Er lächelte mich an. Ich musste unwillkürlich zurück lächeln. Innerlich zuckte ich zusammen: Flirte nicht mit dem Mann deiner besten Freundin! Ich war mir sicher, dass war Regel Nummer 1 im Kodex für Freundinnen oder so.
„Ich schreibe unter dem Pseudonym Annie Stone“, erklärte ich und machte mich auf die Reaktionen gefasst. Und diese fielen typisch aus. Alle drei Männer blickten mich überrascht an. Nach einer kurzen Ewigkeit, in der keiner was sagte, wandelten sich ihre Gesichtsausdrücke. Ryan war amüsiert, Timothy interessiert und Drew gelangweilt.
„Du bist Annie Stone? Die Annie Stone, deren letzter Roman sich 20 Millionen Mal verkauft hat?“ fragte Timothy. Ich nickte.
„Die Erotik-Queen?“
Wieder nickte ich zustimmend. „Aber du kannst es auch Mommy Porn nennen. Das ist vollkommen okay“, sagte ich mit einem spöttischen Lächeln.
„Wie kannst du solche Bücher schreiben, wenn du keinen Sex hast?“ fragte Drew plötzlich.
Mel stand kurz vor einem Herzinfarkt und Kate schaute mich gespannt an. Seit Jahren fragte sie mich das.
„Das nennt sich Fantasie“, erklärte ich ohne mit der Wimper zu zucken. Innerlich brodelte ich. Dieser gutaussehende Bastard glaubte offenbar nicht, dass ich schon jemals Sex hatte. Ich hatte große Lust, ihm den Hals umzudrehen, aber ich wusste nicht, wie ich die Leiche wegschaffen sollte. Krimis waren nun einmal nicht mein Spezialgebiet. Aber ich hätte ihm durchaus den besten Orgasmus seines Lebens verschaffen können – rein fiktional versteht sich.
„Aber sollte es nicht dein Anliegen sein, Situationen realistisch zu schildern? Glaubst du, dass deine Klein-Mädchen-Fantasien der Wirklichkeit entsprechen?“
Klein-Mädchen-Fantasien? Hatte er sie noch alle? „Was ist denn die Realität? Was ist die Wirklichkeit? Ich denke, dass das jedes Paar für sich selber definiert und auch definieren muss. Was für den einen gar nicht geht, ist die Lebensader für jemand anderen. Sex und Leidenschaft wird nicht von jedem gleich empfunden und erlebt. Wieso sollte dann die Realität, die ich in meinen Büchern schaffe, nicht tatsächlich auch Realität sein?“ Ich wollte mich auf keinen Fall von diesem arroganten Bastard vorführen lassen. Von diesem heißen, arroganten Bastard.
„Das scheint mir mal wieder ein Fall von ‚wer’s kann, tut’s‘, ‚wer’s nicht kann, lehrt‘s‘ zu sein“, meinte Drew mit einem kleinen Lächeln, das nicht seine Augen erreichte. Ich hatte das Gefühl, dass es ihm Spaß machte, mich an den Rand meiner Geduld zu zerren. Als würde er nur darauf warten, dass in mir etwas riss und ich mich mit Gebrüll auf ihn stürzen würde.
„Das bestreite ich gar nicht. Was ich allerdings bestreite, ist, dass deine Realität auch die Wirklichkeit aller anderen Menschen sein muss. Nur weil du etwas magst und glaubst, dass dein Weg der richtige ist, wird es nicht zur allgemeingültigen Maxime.“ Ich hoffte, dass ich gelassen wirkte. Innerlich war ich alles andere als das. Der Blick, den er mir zuwarf, ließ mich erzittern und ich betete – und ich bete nie -, dass ich eine bessere Schauspielerin war als ich bisher dachte.
„Umso besser. Mehr für mich“, er zwinkerte mir zu. „Ich habe keins deiner Bücher gelesen, ich weiß nicht, was deine Fantasie so alles hergibt. Der Diskussion um diese skandalösen Bücher kann man allerdings nirgendwo entkommen und so drängt sich der Eindruck auf, dass es sich hierbei eben genau um das handelt, Fantasien. Im Grunde sind es Märchenbücher, in denen gefickt wird. So ist es doch, oder? Am Ende bekommt die Prinzessin ihren Prinzen, sie heiraten und leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage und wenn sie nicht gestorben sind, dann ficken sie noch heute.“
Ich blickte zu Mel, die schon ganz grau im Gesicht war. Kate schaute schmunzelnd von mir zu Drew und wieder zurück, wie bei einem Tennismatch. Ryan und Timothy schienen sowohl fasziniert von unserer Unterhaltung zu sein, als auch ein wenig entsetzt, dass ihr Freund die beste Freundin ihrer Frauen so anging. Ryan versuchte einzugreifen: „Vielleicht sollten…“
„Ein Happy-End ist ebenso gut möglich wie ein Desaster, wenn sich zwei Menschen kennenlernen. Das eine ist nicht wahrscheinlicher als das andere“, warf ich ein, bevor Ryan das Thema wechseln konnte. „Vielleicht ist meine Vorstellung von Glück utopisch, aber ich glaube daran, dass am Ende alles gut ist und wenn es nicht gut ist, dann ist es nicht das Ende.“ Diese Bemerkung brachte mir einen neugierigen Seitenblick von Kate ein. „Und wenn ich mich an diesem Tisch umsehe, dann sehe ich doch gleich zwei Erfolgsgeschichten, meinst du nicht auch?“ Mel warf mir einen dankbaren Blick zu und ich sah, wie sowohl Ryan als auch Timothy die Mundwinkel zuckten.
„Ohne Frage“, stimmte Drew zu. Ich fragte mich unwillkürlich, was seine Geschichte sein mochte. Reicher, gutaussehender – ach was! heißer – Typ, der jeden Tag eine anderen haben konnte – und wahrscheinlich auch hatte. Seien wir ehrlich, ich würde ihn auch nicht von der Bettkante stoßen, wenn er denn jemals da zu sitzen käme. Ich überlegte, ob so ein Leben nicht unglaublich einsam war. „Gleichzeitig sehe ich aber auch dich.“ Was soll das denn jetzt heißen? Alle Empathie, die ich gerade noch für den einsamen, verlorenen Jungen meiner Fantasie empfunden hatte, war verraucht. „Du bist eine Bestseller-Autorin, verdienst jede Menge Asche mit deinen Büchern, siehst passabel aus. Du könntest losgehen und Erfahrungen sammeln und dein Geschreibsel intensiver und wirklicher machen, stattdessen vergräbst du dich in Jogginghosen in deiner Wohnung, isst haufenweise Schokolade, trinkst zu viel und hast wahrscheinlich auch eine Katze.“ Ich wusste nicht, was mich mehr aufregte. Was er sagte oder das es stimmte. „Und wie heißt sie?“
„Wie heißt wer?“ fragte ich abgelenkt.
„Deine Katze.“
„Cleo“, sagte ich widerstrebend.
Er warf mir einen wissenden Blick so voller Überheblichkeit und Selbstzufriedenheit zu, dass ich mich zusammenreißen musste, um ihm nicht eine zu knallen. „Keine weiteren Fragen, Euer Ehren“, meinte er spöttisch.
Während ich noch überlegte, wie ich ihm seine Blasiertheit vom Gesicht wischen konnte, warf Kate ein: „Es ist zwar nicht nett, was Drew sagt, aber du musst zugeben, dass es stimmt.“ Verräterin, dachte ich. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass du dich vor dem Leben versteckst. Ich verstehe, warum du nach der Uni hierher gezogen bist. Du hast deine Mutter gepflegt als sie todkrank war und dich gebraucht hat. Aber deine Mutter ist jetzt fünf Jahre tot und du bist immer noch hier.“ Nervös schaute sie mir in die Augen. Offenbar wusste sie nicht, wie viel ich ertragen konnte. Mein Ausdruck schien sie jedoch zu ermutigen, denn sie fuhr fort: „Komm zurück nach New York. Du hast hier doch nichts. Du wohnst mit deiner Katze in einem alten Haus, bestellst Schokolade online und hast Sex mit deinem Vibrator. Fuck, Emma, das ist doch miserabel.“
Mel zuckte bei den harschen Worten zusammen: „Emma, wir wollen dich wieder bei uns haben! Wir vermissen dich. Wir haben uns jetzt ein Jahr nicht gesehen und vielleicht einmal im Monat telefoniert. So geht das echt nicht. Komm nach Hause.“ Ihre Stimme hatte etwas Flehendes.
Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Das war genau der Grund, warum ich mich gegen ein Wiedersehen mit meinen besten Freundinnen gesträubt hatte. Sie konnten durch all meinen Scheiß durchsehen. Und ich meine die Sorte von Scheiße, bei der man versucht, sich so weit wie möglich von der Welt zu distanzieren. „Ich kann das jetzt nicht entscheiden. Tut mir leid. Ich muss mein Buch beenden und bevor ich damit nicht fertig bin, ist mein Kopf sowieso nicht frei für irgendetwas anderes.“ Kate streckte ihre Hand nach mir aus. Ich ergriff sie und drücke ihre Finger. „Das verstehe ich und ich akzeptiere es. Aber bitte, denk in zehn Tagen darüber nach und komm zu dem Schluss, dass du wieder ins Leben zurückkehrst.“
„Du tust so, als wäre ich ein Eremit“, scherzte ich.
„Das bist du ja auch“, erklärte Mel und schlug sich die Hand vor den Mund. Kate und ich schauten uns an und brachen in Gelächter aus. Mit einem Mal war die Anspannung gebrochen und es schien als würden wir alle leichter atmen können.

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